INSELN IM OZEAN DER MÖGLICHKEITEN
Essay von Sebastian HöglingerEine streng gezogene horizontale Linie zieht sich über das stetig wogende Meer. Wie dem Ozean in Stanisław Lems Solaris“ scheint auch der animierten flüssigen Entität in Dagmar Schürrers I WANT TO BE LIKE YOU ein Bewusstsein innezuwohnen. „Meine Individualität ist eine Illusion“, heißt es da. Ein Satz wie ein Beipackzettel für die weit über die Präsentation im Kinoraum hinausführenden Arbeiten der in Berlin lebenden Medienkünstlerin mit oberösterreichischen Wurzeln, der 2024 bei Crossing Europe ein Spezialprogramm gewidmet ist.
Tatsächlich scheint in Schürrers Video-Welten alles mit allem in symbiotischer Ko-Existenz – ein Lebens- und Wesenszustand, der jeden Zeitgeist unbedingter Individualität mal parasitär, mal mutualistisch unterläuft. Was sich auf die von Philosoph Pierre Lévy über Künstler László Moholy-Nagy bis Biologin Lynn Margulis inspirierten Theorien und Inhalte anwenden lässt, übersetzt sich dabei auch technisch und formal: Digital generierte Objekte und (3D-)Animationen werden mit teils von künstlicher Intelligenz generierten Texten und Narrationen, mit Found Footage, Zeichnungen und Sound verschaltet. Derart erschafft Schürrer neuartige filmische Inseln im Ozean der digitalen Möglichkeiten. In deren widersprüchlicher, bisweilen utopischer Beschaffenheit stellen sie den eindimensionalen Status quo als Selbstverständlichkeit in Frage und verweigern zwingende „innere“ Logiken.
IDEAL DEFICIENCY etwa fordert schon im titelgebenden „idealen Mangel“ den Regelbruch: „Sei abwesend“, „verschwinde in der Versenkung“, „zwinge dich zum Vergessen“ Der in unserer Gegenwart omnipräsente Imperativ des Funktionierenmüssens wird mit überlappenden Bildtypen und Textcollagen lustvoll gebrochen, die Perfektion, die sich auch in der für Schürrer unverkennbar farbsatten wie formschönen Animation widerspiegelt, einer Verletzbarkeit der Körper gegenübergestellt. Oft sind es einzelne Körperteile – Hände, Augen, Zungen – die durch Schürrers persönlichen oder KI-unterstützten Zugriff mutieren oder sich in rasend schönem Glitch verlieren. Häufig sind es auch Organe, etwa das Gehirn in WE ARE ALREADY HISTORY AND WE DON’T KNOW IT. Durch einen hypnotischen Tunnel gelangen wir darin gleich eingangs in das Denkzentrum von Schürrers filmischer Wirklichkeitsmaschine – „the ultimate machine“. Hier rückt, wie in zahlreichen der jüngeren Arbeiten Schürrers, das gesprochene Wort anstelle des zuvor präsenteren Lesetexts in den Vordergrund. Die computergenerierte Stimme beschreibt Nahtstellen von KI und biologischem Gehirn, erzeugt gedankliche Durchlässigkeiten zwischen nur vermeintlich getrennten Welten.
Ebendas ließe sich als verbindendes Interesse Schürrers festmachen: das Kurzschließen von organischen wie virtuellen Realitäten und Bewusstseinszuständen, von Konkretem und Abstraktem, von Effizienz und Mangel, Fehler und Perfektion – oder auch Traum und KI, etwa in DREAMING IS THE MIND LEFT TO ITSELF. Nicht selten entzieht es dem Publikum bei diesem paradoxerweise gleich mehrbeinigen Spagat den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen: Wir befinden uns im freien Fall, im regelrecht poetischen Mahlstrom sich stetig verwebender beziehungsweise über-, unter- und nebeneinander aufschichtender Bilder. Eindrücklich ersichtlich wird das in der für Schürrer vermutlich ungewöhnlichsten Arbeit im Programm, dem Musikvideo COUNTRY CLUB für den Berliner Subkultur-Grandseigneur Chris Imler. „Fuck you all“, postuliert der Schnauzbartträger darin mit charakteristischer Lässigkeit, während Schürrer einen korrespondierend lässigen Video-Vertigorausch entfacht. Zunehmend wird die Ausnahme – das Rotieren und Fallen – zum Zustand. Und wie als Reaktion darauf fragt die Gruppe Ja, Panik! im zweiten Musikvideo des Programms nach der Konsequenz daraus: „Apocalypse or Revolution?“ Es ist genau dieser köstlich spielerische Umgang mit Mehrdeutigkeit, Virtualität, Kontrollverlust – auch Dystopie –, der die Schürrer-Universen zur filmischen Traumdestination macht.
WHERE DOES THE REST OF THE WORLD BEGIN lautet dann schließlich der letzte und als Weltpremiere präsentierte Filmtitel im dichten Spezialprogramm. Dagmar Schürrers Antwort darauf liegt wohl irgendwo da draußen: im unendlichen Ozean der Möglichkeiten – im symbiotischen Zusammenspiel von Kino, Kunstraum und Digital Space.
Tatsächlich scheint in Schürrers Video-Welten alles mit allem in symbiotischer Ko-Existenz – ein Lebens- und Wesenszustand, der jeden Zeitgeist unbedingter Individualität mal parasitär, mal mutualistisch unterläuft. Was sich auf die von Philosoph Pierre Lévy über Künstler László Moholy-Nagy bis Biologin Lynn Margulis inspirierten Theorien und Inhalte anwenden lässt, übersetzt sich dabei auch technisch und formal: Digital generierte Objekte und (3D-)Animationen werden mit teils von künstlicher Intelligenz generierten Texten und Narrationen, mit Found Footage, Zeichnungen und Sound verschaltet. Derart erschafft Schürrer neuartige filmische Inseln im Ozean der digitalen Möglichkeiten. In deren widersprüchlicher, bisweilen utopischer Beschaffenheit stellen sie den eindimensionalen Status quo als Selbstverständlichkeit in Frage und verweigern zwingende „innere“ Logiken.
IDEAL DEFICIENCY etwa fordert schon im titelgebenden „idealen Mangel“ den Regelbruch: „Sei abwesend“, „verschwinde in der Versenkung“, „zwinge dich zum Vergessen“ Der in unserer Gegenwart omnipräsente Imperativ des Funktionierenmüssens wird mit überlappenden Bildtypen und Textcollagen lustvoll gebrochen, die Perfektion, die sich auch in der für Schürrer unverkennbar farbsatten wie formschönen Animation widerspiegelt, einer Verletzbarkeit der Körper gegenübergestellt. Oft sind es einzelne Körperteile – Hände, Augen, Zungen – die durch Schürrers persönlichen oder KI-unterstützten Zugriff mutieren oder sich in rasend schönem Glitch verlieren. Häufig sind es auch Organe, etwa das Gehirn in WE ARE ALREADY HISTORY AND WE DON’T KNOW IT. Durch einen hypnotischen Tunnel gelangen wir darin gleich eingangs in das Denkzentrum von Schürrers filmischer Wirklichkeitsmaschine – „the ultimate machine“. Hier rückt, wie in zahlreichen der jüngeren Arbeiten Schürrers, das gesprochene Wort anstelle des zuvor präsenteren Lesetexts in den Vordergrund. Die computergenerierte Stimme beschreibt Nahtstellen von KI und biologischem Gehirn, erzeugt gedankliche Durchlässigkeiten zwischen nur vermeintlich getrennten Welten.
Ebendas ließe sich als verbindendes Interesse Schürrers festmachen: das Kurzschließen von organischen wie virtuellen Realitäten und Bewusstseinszuständen, von Konkretem und Abstraktem, von Effizienz und Mangel, Fehler und Perfektion – oder auch Traum und KI, etwa in DREAMING IS THE MIND LEFT TO ITSELF. Nicht selten entzieht es dem Publikum bei diesem paradoxerweise gleich mehrbeinigen Spagat den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen: Wir befinden uns im freien Fall, im regelrecht poetischen Mahlstrom sich stetig verwebender beziehungsweise über-, unter- und nebeneinander aufschichtender Bilder. Eindrücklich ersichtlich wird das in der für Schürrer vermutlich ungewöhnlichsten Arbeit im Programm, dem Musikvideo COUNTRY CLUB für den Berliner Subkultur-Grandseigneur Chris Imler. „Fuck you all“, postuliert der Schnauzbartträger darin mit charakteristischer Lässigkeit, während Schürrer einen korrespondierend lässigen Video-Vertigorausch entfacht. Zunehmend wird die Ausnahme – das Rotieren und Fallen – zum Zustand. Und wie als Reaktion darauf fragt die Gruppe Ja, Panik! im zweiten Musikvideo des Programms nach der Konsequenz daraus: „Apocalypse or Revolution?“ Es ist genau dieser köstlich spielerische Umgang mit Mehrdeutigkeit, Virtualität, Kontrollverlust – auch Dystopie –, der die Schürrer-Universen zur filmischen Traumdestination macht.
WHERE DOES THE REST OF THE WORLD BEGIN lautet dann schließlich der letzte und als Weltpremiere präsentierte Filmtitel im dichten Spezialprogramm. Dagmar Schürrers Antwort darauf liegt wohl irgendwo da draußen: im unendlichen Ozean der Möglichkeiten – im symbiotischen Zusammenspiel von Kino, Kunstraum und Digital Space.
Dagmar Schürrer © Birgit von Bally