Arbeitswelten 2007

Umbrüche und Aufbrüche

(Michael Loebenstein, Dominik Kamalzadeh, Dieter Pichler – Kuratoren)

„Mobilität“ ist neben „Flexibilität“ eine jener Eigenschaften, die in der globalisierten Wirtschaft ArbeitnehmerInnen abgefordert wird. Die beiden Begriffe stehen in einem engen Zusammenhang: Die Dezentralisierung der industriellen Produktion und des Dienstleistungssektors motiviert Bewegung über Staatsgrenzen hinweg, zwischen Kontinenten, im realen wie im virtuellen Raum. Diese wiederum fordert den Arbeitenden – TeleworkerInnen, UnternehmerInnen, IndustriearbeiterInnen – ein hohes Maß an Flexibilität ab. Sollte – gemäß dem Paradigma unserer Ära, der Telekommunikation und des World Wide Web – der Raum auch geschrumpft sein, Identität nicht mehr an Lokalität gebunden sein, so sind die Auswirkungen der Globalisierung – im Sinne einer permanenten Dislozierung – im beruflichen wie privaten Ethos spürbar, und damit für die Kamera ergründbar.

Arbeitswelten #4: Umbrüche und Aufbrüche zeigt in diesem Jahr fünf dokumentarische Filmarbeiten, die sich mit diesem Spalt zwischen Lokalem und Globalem, den Absurditäten und Unvereinbarkeiten wie auch der Entdeckung des Gemeinsamen, eines interkulturellen Verständnisses, einer produktiven Vermischung möglicher Identitäten beschäftigen. Die Verhältnisse sind im Umbruch – in China wie in Deutschland, in Indien wie in den USA –, die Menschen im Aufbruch: „Erfolgsgeschichten“, die – wie es der Titel eines der Filme paradigmatisch feststellt – immer „Loser“ und „Winner“ kennen, deren Erfolge ein Element des Verlustes und deren Verlust ein Element des Widersinns in sich trägt, und nicht zuletzt, auch einen Funken von Komik.

Filmisch ist allen Arbeiten das Moment der teilnehmenden Beobachtung, eines intimen, wenn auch stilisierenden Blicks gemein. Das berufliche Leben und die Arbeitswelten ihrer ProtagonistInnen werden konsequent der persönlichen Befindlichkeit, dem Imaginären, ihren individuellen und den familiären Identitätsentwürfen gegenübergestellt. Ein weiteres Motiv ist der filmische Sinn für die architektonischen Settings der Arbeits- und Lebensräume, ein Interesse am imaginären Potenzial, das solche Orte – here, there and everywhere – haben können. Dem leistet die örtliche und kulturelle Vielfalt, die das heurige Filmprogramm darstellt, durchaus Vorschub. Bombay, Shanghai, Frankfurt, Theresienthal, Dortmund auf der einen, die Vorstellung der „ganzen Welt“ (als Markt, als Reiseziel, als unberechenbare, abstrakte Größe) auf der anderen Seite.

Auf der anderen Seite des Globus sitzen zum Beispiel die Akteure von JOHN & JANE – indische Callcenter-MitarbeiterInnen, die, während ihre Heimatstadt Bombay schläft, am Telefon amerikanische KonsumentInnen beraten und beschwichtigen – in mühsam erworbenem, lokalem US-Idiom, mit Phantasienamen und in der richtigen (falschen) Zeitzone. Nähe und Entfernung kollabieren, wenn die verschiedenen „Johns“ und „Janes“ nächtens in VorstadtBürosiedlungen Amerika spielen, um im Morgengrauen in ihre Viertel zurückzukehren, deren Bild sich ebenso subtil verändert wie die Mimik, Gestik und Vorstellungswelt der TeleworkerInnen: der Futurismus (und die Science- Fiction-ähnliche Anmutung des Callcenters) findet über Shoppingmalls, Spielhallen und FastfoodLokale langsam Einzug ins Stadtbild des modernen Mumbai.

Auf eine andere Art disloziert sind die Facharbeiter, die der deutsche Film DIE UNZERBRECHLICHEN zeigt. Fünfhundert Jahre lang ist im bayerischen Theresienthal Glas zu hochwertigen Produkten verarbeitet worden, doch seit einigen Jahren ist die Region wirtschaftliches Krisengebiet und ein Großteil der Glasarbeiter arbeitslos. Auftritt der Sanierer: Zwei Berater und eine Stiftung machen die Probe aufs Exempel, dass der globale Markt gerade mittels lokaler Produkte, regionaler Qualität und einer Marke, die aus einer spezifischen, gewachsenen Identität schöpft, „geknackt“ werden kann. Der Film beobachtet – im philanthropischen Gestus der dokumentarischen Auf eine andere Art disloziert sind die Facharbeiter, die der deutsche Film DIE UNZERBRECHLICHEN zeigt. Fünfhundert Jahre lang ist im bayerischen Theresienthal Glas zu hochwertigen Produkten verarbeitet worden, doch seit einigen Jahren ist die Region wirtschaftliches Krisengebiet und ein Großteil der Glasarbeiter arbeitslos. Auftritt der Sanierer: Zwei Berater und eine Stiftung machen die Probe aufs Exempel, dass der globale Markt gerade mittels lokaler Produkte, regionaler Qualität und einer Marke, die aus einer spezifischen, gewachsenen Identität schöpft, „geknackt“ werden kann. Der Film beobachtet – im philanthropischen Gestus der dokumentarischen

Arbeitslos sind bald auch die Arbeiter der Kokerei Kaiserstuhl bei Dortmund. Ihre Anlage, einst der Stolz der Region, wurde stillgelegt und an einen chinesischen Konzern verkauft, der sie nun Stück für Stück demontiert, um sie im fernen China als Musteranlage wieder aufzubauen. Eigentlich, sagt einer der deutschen Arbeiter in LOSERS AND WINNERS, wäre es den neuen Besitzern ja nur um die Konstruktionspläne gegangen; doch unter den misstrauischen Augen der Deutschen entpuppt sich das als „Eindringling“ empfundene chinesische Demontageteam als nicht minder stolze „Arbeiterklasse“. „Immer meckert ihr nur und wisst alles besser. Wir haben das schon dutzende Male gemacht, und schweißen können wir genauso gut wie ihr!“, herrscht der chinesische Vorarbeiter sein Gegenüber an. In Sequenzen, die an JOHN & JANE erinnern, führen die Filmemacherinnen das kulturell so ganz andere China, den „schlafenden Industrieriesen“, ironisch als geradezu außerirdische Macht ein: Parallel zum Kokereiabbau berichten die Nachrichten von zuhause vom ersten bemannten Raumflug der Nation.

STUTTGART-SHANGHAI verhält sich als Komplementärfilm dazu, indem er von einem deutschen Ehepaar erzählt, das in „Goldgräber“-Art nach China geht, um vom dortigen Boom zu profitieren. Der Film verlegt die Auseinandersetzung im Stil einer Dokusoap ins Private: Während der Mann seinem Vater nacheifert, der in einer chinesischen Kleinstadt ein florierendes Textilunternehmen aufgebaut hat, gelingt es seiner Frau weit weniger gut, sich an das ungewohnte Leben in einem fremden Land anzupassen. Die Rede vom schnellen Erfolg und den im Vergleich zu Europa viel ausgeprägteren Chancen auf Reichtum bricht sich an einer bürgerlichen Vorstellung von Familienglück – dass die Frau schwanger ist und die sanitären Einrichtungen westlichen Maßstäben nicht gerecht werden, erschwert die Anpassung noch zusätzlich. STUTTGARTSHANGHAI zeigt damit auch ein Beispiel von Emigration unter umgekehrten Bedingungen: Selbst da, wo ein ökonomisches Auskommen gesichert scheint, ist der Widerstand, sich an kulturelle Gepflogenheiten zu gewöhnen, denkbar groß und mit den Erfordernissen von Flexibilität nicht vereinbar.

Als polemischer Kommentar zu eben dieser Forderung nach Flexibilität steht Jan Peters’ Miniatur WIE ICH EIN FREIER REISEBEGLEITER WURDE am Schluss der Arbeitswelten #4: Während mysteriöse Schläuche von der Decke nach unten baumeln, wird am Flughafen Frankfurt das Prinzip Eigeninitiative vorgeführt – Mittdreißiger als Teil der Generation Praktikum arbeiten hier in Zweitjobs, um eine Berufsausbildung überhaupt finanzieren zu können. Pfandflaschensammeln als Zuverdienst zum Arbeitslosengeld und ein Filmregisseur als freier Reisebegleiter. Menschen suchen und (er) finden Arbeit – „Lauter einsame Ich-AGs auf einem Flughafen voller Schimmelpilz“.

 

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