Tribute 2019: Jaime Rosales

Dieses Jahr widmet CROSSING EUROPE die Tribute-Sektion dem aus Katalonien (Spanien) stammenden preisgekrönten Regisseur und Drehbuchautor Jaime Rosales. Im Rahmen des Festivals werden all seine bisherigen Langspielfilme – sechs an der Zahl – auf großer Leinwand aufgeführt, in Anwesenheit des Regisseurs, der zudem auch eine Masterclass in Linz abhalten wird. Seine neueste Arbeit PETRA, uraufgeführt in Cannes, ist als Österreichpremiere in Linz zu sehen.

Jaime Rosales wurde 1970 in Barcelona geboren und studierte an der prestigeträchtigen San Antonio de los Baños International Film and Television School (EICTV) in Kuba. Danach verschlug es ihn nach Australien, wo er an der Australian Film Television and Radio School Broadcasting Entertainment (AFTRSBE) sein Studium fortsetzte. Nach seiner Rückkehr nach Europa begann er als Drehbuchautor fürs Fernsehen zu arbeiten und gründete 2001 seine eigene Produktionsfirma Fresdeval Films. 

Schon sein erster Spielfilm (LAS HORAS DEL DÍA) war international erfolgreich und wurde – so wie vier weitere seiner Filme – bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt. Seither ist er einer der wichtigsten Stimmen des spanischen Gegenwartskinos, der sich mit jedem seiner Filme neu zu erfinden scheint. Kein Film gleicht der vorangegangenen Arbeit, jeder seiner sechs Langspielfilme weist eine eigenständige künstlerische Handschrift auf. Besonders beeindruckend die Experimentierfreudigkeit wie auch die Konsequenz mit der Rosales jedes Mal seine cinematographische Vision umsetzt. Mal versucht er sich an technischen „Spielereien“ (z.B. der Einsatz von Splitscreens in LA SOLEDAD oder der damals noch neuen Medien wie z.B. Skype in HERMOSA JUVENTUD), ein anderes Mal hinterlässt eine stringent geführte Kamera bleibenden Eindruck. Man denke etwa an das Terrordrama TIRO EN LA CABEZA, das nie nah am Geschehen dran ist, sondern wie bei einer Wildtierdokumentation (Rosales selbst verwendete in einem Interview diesen Vergleich) alles aus der Distanz beobachtbar macht.

Auch in seiner aktuellen Produktion PETRA ist es evident, dass die exzessiv eingesetzten Schwenks mit der Steady-Cam bewusst als Stilmittel gewählt wurden. Rosales arbeitet sowohl mit professionellen SchauspielerInnen als auch mit Laien, manchmal verzichtet er fast zur Gänze auf Dialoge, ein anderes Mal ist Sprache ein integraler Bestandteil eines Films.  
Sein Kino ist geprägt von einer scharfen Beobachtungsgabe und einem Instinkt für soziale Verwerfungen, sei es nun der Mörder „von nebenan“ (LAS HORAS DEL DÍA), die fehlenden Perspektiven der jungen Generation in Spanien in Zeiten der Wirtschaftskrise (HERMOSA JUVENTUD), das Sozialgefüge Familie als vielschichtiger Mikrokosmos (SUEÑO Y SILENCIO), die Bombenangriffe von Madrid (LA SOLEDAD) oder der Terror der ETA (TIRO EN LA CABEZA).

Sein Oeuvre ist geprägt von einem untrüglichen Gespür für Atmosphäre, die das Publikum gekonnt in die Geschichten hineinzieht und es so dazu bringt, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die man eigentlich verdrängen will. Als offenkundiger Stilist zeigt Jaime Rosales immer Interesse am Ausloten formaler Grenzen beim Geschichtenerzählen auf der großen Leinwand.

Ich mache Filme, um mich selbst zu entdecken. Ich halte mich nicht für einen guten Regisseur. Ich bin wie Sisyphus. Ich versuche den Gipfel zu erreichen und fange dann wieder von vorne an. So bietet mir jeder Film jedoch die Gelegenheit, die Filmsprache zu erkunden. … Obwohl meine Filme persönlich sind und sich mit Themen beschäftigen, die mich interessieren, werden sie zu dem Zweck gemacht, gesehen zu werden. Das Publikum ist nicht mein Freund, es ist mein Feind in dem Sinne, dass es mir nicht verzeiht, wenn ich etwas erschaffe, was sie nicht mögen, schließlich haben sie ja Zeit geopfert und Geld ausgegeben, um den Film zu sehen. 
Jaime Rosales, Pressekonferenz Thessaloniki Int. Film Festival, November 2018
 
// Das Tribute 2019 wird in Zusammenarbeit mit dem Institut Ramon Llull durchgeführt. //