Nachtsicht 2016

Warum wir den Wahnsinn brauchen

(Markus Keuschnigg, Kurator)

Wenn die Welt aus den Angeln gehoben wird, wenn alte Gespenster umgehen, wenn Grenzen errichtet und nicht eingerissen werden, wenn also all das als Ultima Ratio am Anfang des 21. Jahrhunderts im Raum steht, dann tut man gut daran dem Wahnsinn anheimzufallen. Nicht im psychopathologischen Sinn, sondern als Gegenposition zur erschütternden Vernunft: Weniges wirkt befreiender als Wahnsinn, und der fantastische Film ist jenes Gefäß, in dem er uns am grellsten, unwiderstehlichsten, buntesten entgegenspringt.

„Sometimes it’s better to be a little crazy than to be an extra in your own life, doing and believing everything you’re told!“ Dieser Satz fällt in Álex de la Iglesias frenetischem Mi gran noche, überhaupt ein gewaltiges Fest für den Wahnsinn, der zelebriert wird und Katharsis erst ermöglicht.

Das Übersteuerte und Unverhältnismäßige ist immer auch ein direkter Angriff auf die Konventionen, die wir glauben einhalten zu müssen, um nicht aufzufallen. Insofern sind die fünf Vorschläge der heurigen Nachtsicht eine Einladung, auffällig und ausfällig zu werden. Kaum einer davon lässt sich in ein bestimmtes Genre pressen, vielmehr wuchern sie über alle Zuschreibungen hinaus: Absurde Vintage-Pornos mit japanischen Sexrobotern und kopulierenden Rollschuhläufern werden zur Sci-Fi-Groteske montiert, spanische Jugendbetreuer gehen sich gegenseitig an die Gurgel, Menschen fressende Meerjungfrauen werden zum gefeierten Nachtklub-Act, und hinter den Wänden einer alten Villa entdeckt eine Frau ein surreales Labyrinth aus Gängen, Gewölben und Gefühlen, bevölkert von unheimlichen Kreaturen.

All diesen Filmen ist gemein, dass sie nichts mehr anfangen können und wollen mit der Wirklichkeit und stattdessen ekstatische Alternativen vorschlagen: Nicht nach außen, sondern nach innen blicken sie und schleppen die Angst, den Exzess, den Irrsinn und Wahnsinn aus unseren Körpern heraus und pflanzen ihn direkt auf die Leinwand. Insofern freue ich mich schon darauf, mit euch allen die Vernunft zu bekämpfen, auf dass unsere Körper und Seelen zittern und beben. Für immer und ewig.

 

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