Arbeitswelten 2020
„Stressresistent“ – das ist eine Standardanforderung in vielen Stellenausschreibungen, die konkrete Aufgabe scheint dabei schon beinahe zweitrangig zu sein. Egal ob diese wirklich fordernde Stresssituationen beinhaltet oder es sich um eine eher unaufgeregte Tätigkeit ohne viel Hektik handelt: Belastbarkeit und die Bereitschaft, sich herausfordernden Situationen zu stellen, gelten als eine Art Grundvoraussetzung für Arbeitende. Parallel dazu finden sich immer mehr Menschen einem erhöhten Leistungsdruck ausgesetzt, der oftmals durch drohenden Arbeitsplatzverlust gesteigert wird und nicht selten in Verzweiflung und vermehrt in Krankheit resultiert. Unter Druck zu arbeiten: oft schon normal.
„Keep calm and carry on“ könnte man vielleicht auch über das diesjährige Arbeitsweltenprogramm schreiben, denn die Protagonist*innen der vier Dokumentarfilme stehen fordernden Aufgaben und angespannten Situationen gegenüber. Ausdauer und Gelassenheit sind gefragt.
Von geregelten, rituellen Abläufen und feierlicher Ruhe sind die Tätigkeiten der Totengräber, Patholog*innen und Bestatter* innen im elegisch schönen Samtidigt på jorden geprägt. Der Film verliert dabei niemals die Bodenhaftung – irgendjemand muss ja bei der Abschiedszeremonie hinter den Kulissen den CD-Player zum richtigen Zeitpunkt einschalten. Die Begegnung mit dem Tod ist alltägliche, routinierte Tatsache, Banalitäten in Gesprächen unter Kolleg*innen treffen mit wunderbarer Beiläufigkeit auf das endgültigste Ereignis des Lebens.
Besonders starke Nerven legt eine Gruppe von armenischen Frauen an den Tag, die im Auftrag einer britischen NGO in Bergkarabach Landminen entschärfen.
Höchste Konzentration und das Befolgen streng geregelter Abläufe sind unumstößlich, eine übereilte Handlung könnte fatale Konsequenzen haben. Nothing to Be Afraid of spart mit Hintergrundinformation, doch wer nicht gute (finanzielle) Gründe hat, wird sich dieser Situation kaum aussetzen. Gearbeitet wird, abgesehen von notwendigen Warnsignalen, in eiserner Stille, die erst gebrochen wird, wenn das verminte Waldstück wieder verlassen wird und niemand zu Schaden gekommen ist. Dann fällt die Anspannung sichtbar ab und beim gemeinsamen Essen wird gescherzt. Ein schaler Nachgeschmack aber bleibt bestehen.
Dieser stellt sich auch in Typhoon Mama ein, spätestens wenn klar wird, dass sich die Filipina Yolanda in Schweden bereits hoch verschuldet hat, um ihren Söhnen, die sie vor 20 Jahren in der Heimat zurückgelassen hat, ein besseres Leben zu ermöglichen, und diese beständig nach weiteren Scheinen verlangen. Sie ist eine von Millionen Filipinas und Filipinos, die, meist unter widrigen Bedingungen, im arabischen Raum oder im Westen als Arbeitsmigrant*innen leben. Die Illusion vom Paradies in Europa trifft auf die ernüchternde Erkenntnis, dass die hart erschufteten Geldsummen niemals hoch genug sein werden.
In Automotive treffen ebenfalls zwei Welten aufeinander. Im Lager für Autoteile von Audi ist der Leistungsdruck groß: Leiharbeiterin Sedanur weiß, sie ist kein Roboter, und dass eine Unachtsamkeit mehrere tausend Euro und sie die Stelle kosten kann. Im Zuge des Dieselskandals wird sie dann aber, auch ganz ohne einen Fehler gemacht zu haben, entlassen. Es gilt abzuwarten, in der Hoffnung, dass es mit der Autoindustrie wieder bergauf geht. Während Sedanurs Lage immer prekärer wird, sucht Headhunterin Eva – jedes Jahr unter den besten in ihrem Job – längst nach Expert*innen, die die Automatisierung und den Ersatz der Menschen durch intelligente Maschinen im Betrieb vorantreiben sollen. Sie selbst wird schwer zu ersetzen sein, aber was die Zukunft genau bringen wird, weiß niemand.