Arbeitswelten 2012

Leben oder Streben

(Lina Dinkla, Kuratorin)

Mögen die Sichtbarkeit von Fabriken in unseren Städten, das Arbeiten am Fließband, Arbeitskämpfe und das sich daraus bildende Selbstverständnis einer Klasse zu einer anderen Zeit gehören: Das Streben nach P roduktivität, E ffizienz und O ptimierung ist nicht nur für Industrie-, sondern erst recht für Dienstleistungsgesellschaften die Grundvoraussetzung ihrer E xistenz und ihres E rfolges. Dass in und aus Fabriken strömende Arbeiter zumindest in E uropa zu einem seltenen Bild geworden sind, heißt jedoch noch lange nicht, dass diese Arbeit verschwunden ist oder dass sich die optimierten Abläufe von entpersonalisierter Arbeit nicht genauso gut auch vor Computerbildschirmen und in Konferenzräumen finden lassen.

Mit fünf Filmen wird ein Bogen geschlagen von den äußeren zu den inneren Umständen, die diese Welt der Massenarbeitsplätze im 21. Jahrhundert ausmachen, O rte, die sich wirklich jeglicher Romantik entledigt haben. E s ist ein schon manisch zu nennendes Streben, mit welcher Hingabe sich ganze Berufsgruppen heutzutage damit beschäftigen, Arbeitsabläufe zu optimieren, wie am geschicktesten mit den eigenen Angestellten als E rfolgsgröße umgegangen wird und wie all das dem ewigen Wachstumsglauben unterworfen ist. E s sind Bilder von dekadenter Massenproduktion – von Lebensmitteln bis hin zu Müll -, von obszöner Verschwendung, Vernichtung und gezielter, weil rein rechtlich gestatteter Ausbeutung.

Um die komplett abstrakte Gewinnmaximierung in Großunternehmen geht es Carmen Losmann in Work Hard – Play Hard bei ihrer Betrachtung von Innenarchitektur in Großfirmen, wo in Assessment-Centern Mitarbeiter zu mehr „Performance“ angeregt werden und Software zum E insatz kommt, das eigene „Humankapital“ zu überwachen.

Ähnlich distanziert streift der Filmessay Mercado de Futuros die tatsächliche Arbeit als solche eher am Rande. Mercedes Alvarez hält sich vor allem dort auf, wo mit O bjekten Sehnsüchte geweckt werden und aus Illusionen P rofit geschlagen wird: Immobilienund Anlagemessen, wo Gebäude lediglich als Spekulationsfläche fungieren, was in Spanien dazu geführt hat, dass ganze Landstriche voller toter Abschreibungsobjekte veröden. Die Verwandlung von Landschaften durch die schiere Menge an Produktion lässt sich auch in San Agustin – Marea baja En el mar del plástico begutachten. In Almería befindet sich die größte zusammenhängende Fläche von O bst- und Gemüseplantagen, die sich wie eine einzige P lastikplane bis zum Horizont zu erstrecken scheint. Den drei Filmemachern ist das aber nur ein Aspekt am Rande: Sie nähern sich den Zusammenhängen dieser „Landwirtschaft“ in mehreren Kapiteln und über ihre P rotagonisten. Die komplexen Ausmaße ihres filmischen Subjekts erfassten sie dabei erst während des Drehens. E benso stehen für Manuela Frésil in Entrée du personnel vor allem die P rotagonisten im Mittelpunkt, anhand derer sie die vollständig entmenschlichten Tätigkeiten nachzeichnet, denen in einer Fleischfabrik nachgegangen wird.

Noch weiter unten, am allerletzten E nde der Verwertungskette – oder vielleicht schon wieder einem Neuanfang – stehen die sieben P rotagonisten von Proti Yli. Christos Karakepelis filmte über einen langen Zeitraum mehrere Metallsammler in Athen und steuert damit den aktuellsten Beitrag der Reihe bei.

 

Filme der Sektion: