Arbeitswelten 2009

Vor Krisenzeiten warnt nur Unbehagen

(Dominik Kamalzadeh, Kurator)

Setzt man einen Frosch in einem Topf kontinuierlich ansteigenden Temperaturen aus, wird sich dieser die meiste Zeit behaglich fühlen und den tödlichen Moment schließlich versäumen. Umgekehrt gilt, dass ein Frosch, den man in bereits kochendes Wasser wirft, alles versuchen wird, diesem zu entkommen. Das Beispiel des britischen Anthropologen Gregory Bateson demonstriert eine Grundkonstante aller sozialer Systeme: Katastrophen, die sich schleichend anbahnen, vermögen einem aufgrund unserer Anpassungsfähigkeiten zu entgehen.

Angewandt auf die gegenwärtige Finanzkrise, die ihre Wucht zuallererst Unachtsamkeit verdankt, erscheint diese Beweisführung denkbar schlüssig: Denn abgesehen von einigen Insidern, zu deren Profession es gehört, über den Topf hinaus zu denken, waren die meisten Menschen auch in diesem Fall nicht misstrauisch genug. Die diesjährige Ausgabe der Reihe Arbeitswelten kann auf die umfassende Krise freilich nur mittelbar reagieren. Andererseits gilt: Das Kino ist hellhörig und bisweilen seiner Zeit voraus. Sollbruchstelle, ein Film der jungen Berliner Regisseurin Eva Stotz, verfügt über so hohe Sensibilität, dass er bereits einen Eindruck davon zu geben vermag, wie sich das Krisenhafte im gegenwärtigen Deutschland in Form einer existenziellen Verunsicherung ausbreitet.

Arbeit ist hier die Prüfung, bei der entschieden wird, wer man ist – oder einmal sein will: Ein Mann erzählt von seiner unrechtmäßigen Kündigung, seiner Klage gegen das betreffende Unternehmen, und wie er dann ausgeharrt hat an einem Ort, wo ihn keiner mehr sehen wollte; auf der anderen Seite steht eine jüngere Generation, die sich mit unwürdigen Jobs als Werbeträger verdingt oder auf ein ungewisses Berufsleben einzustellen versucht. Stotz wählt eine freie, essayähnliche Form, die weniger auf Individuelles als auf Symptomatisches zielt: eine Gesellschaft, die orientierungslos auf der Stelle tritt. Harun Farockis Leben - BRD , bereits im Jahr 1990 entstanden, ist der komplementäre und zugleich ganz gegensätzliche Film dazu: Anstatt die Krise zu reflektieren (oder die Stagnation danach abzubilden), reiht er Szenarien einer Gesellschaft aneinander, die sich geradezu zwanghaft auf die Bewältigung des Krisenfalls einübt. Von der richtigen Babywäsche zur effizienteren Mund-zu-Mund-Beatmung, vom Überqueren eines Zebrastreifens bis zur Intervention bei häuslicher Gewalt: Die Krise besteht hier darin, dass wir nie adäquat auf sie eingestellt sind, auch wenn wir zahllose Präventionsmaßnahmen ergreifen.

Der zweite Teil des Programms liegt schwerpunktmäßig in Osteuropa, jenseits der Euro-Zone, wo sich die Krise gerade verhärtet. pereSTROI KA – umBAU einer Wohnung von Christiane Büchner versinnbildlicht die Folgen der Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft anhand einer Wohnung in St. Petersburg, in der seit dem Ende des Kommunismus jedes Zimmer jemand anderem gehört. Der Verkauf einer solchen Immobilie ist ein denkbar kompliziertes Unterfangen, das Büchner mit viel Sinn für skurrile Details mitverfolgt. Doch hinter der Realsatire zeichnen sich die sozialen Gefälle innerhalb der postsowjetischen Gesellschaft ab. pereSTROI KA – umBAU einer Wohnung zeigt, dass selbst der allerprivateste Raum in der Not zur Aktie werden kann, mit der man geschickt hantieren muss, um seine Aufstiegschancen zu bewahren.

Hans-Christian Schmid vermittelt in seinem Dokumentarfilm Die wundersame Welt der Waschkraft die Kontraste zwischen Ost und West an einem anderen, ähnlich sinnfälligen Beispiel: einer Wäscherei in Polen, die vornehmlich für Berliner Top-End- Hotels im Dienste steht. Schmid setzt nicht nur Arbeitsabläufe in Szene, er interessiert sich vor allem für die Lebenssituation der Arbeiterinnen und ihrer Familien, deren Alltag auf den 24-Stunden-Schichtbetrieb abgestimmt ist. Während in der Region allmählich die Strukturen wegbrechen – hier etwa selbst der Bürgermeister einen zweiten Job benötigt und die Jugend im Ausland nach besser bezahlten Alternativen sucht – bündelt die Wäscherei alle vorhanden Ressourcen zum lukrativen Erfolgsmodell: Der Wasserdampf kommt vom nahe gelegenen Kraftwerk.

Eine Jugend, die sich im neu angetretenen Arbeitsleben erst zurechtfinden muss, trifft man schließlich auch in Bettina Brauns Film Was du willst, in dem die Regisseurin einige türkischstämmige Jugendliche aus ihrem ersten Film Was lebst du? wieder aufsucht: Keiner ist hier richtig euphorisch über seinen veränderten Lebensinhalt, über den Druck und den Lohn, die zueinander im Missverhältnis stehen. Aber ein gesundes Unbehagen ist zumindest der erste Schritt zur Veränderung des Status quo.

 

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