Arbeitswelten 2006

Firmenpolitik

(Michael Loebenstein, Dominik Kamalzadeh, Dieter Pichler – Kuratoren)

KORREKTES VERHALTEN ZAHLT SICH AUS lautet der Titel eines Schweizer Dokumentarfilms von 2000, der sich – passend zum gerade aufkommenden Diskurs über Machtverhältnisse, Überwachung und die Architektur neuer funktionaler Orte – mit den Rahmenbedingungen zeitgenössischer Arbeitswelten befasste. „Korrektes Verhalten“ meint ein halbes Jahrzehnt später und im nunmehr dritten „Arbeitswelten“-Schwerpunkt noch viel mehr – nämlich die Frage danach, wie sich Unternehmen, Konzerne, Regulatoren, aber auch ArbeitnehmerInnen angesichts zunehmend undurchschaubarer, globalisierter Wirtschaftsverhältnisse „richtig“ verhalten können.

„Richtig“, „anständig“, „angemessen“ – Adjektive, mit denen längst nicht mehr allein der zwischenmenschliche Umgang, sondern auch Formen institutioneller und staatlicher Politik positiv ausgezeichnet sein wollen. „Don’t be evil“, und „You can make money without doing evil“ heißen zwei der Mantras, mittels derer Google seine Firmenphilosophie beschreibt. Mit Nachhaltigkeit, ökologischer Verträglichkeit, Business im Dienste der Menschenrechte und Menschenwürde verkauft man heutzutage Bananen, Fair-Trade-Schokolade und Sportsocken und vermittelt den westlichen VerbraucherInnen, dass Konsum an sich bereits eine ethische Handlung darstellt. Genauso „richtig“ erscheint es heute auch, sich als ArbeitnehmerIn angemessen zu verhalten und zu artikulieren. Das heißt: konstruktiv, flexibel, verständnisvoll dafür zu sein, dass das Wohl der Unternehmen längst zum Gradmesser des Wohls der Gesellschaft geworden ist. „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.“

Arbeitswelten: Firmenpolitik zeigt in diesem Jahr vier dokumentarische Filmarbeiten, die sich mit der Frage beschäftigen, welche (legalen) Handlungsspielräume die globalisierte Wirtschaft ihren Subjekten lässt, beziehungsweise inwiefern sich Unternehmen selbst als ethische Organisationen begreifen.

Im Mittelpunkt stehen sowohl ökologische als auch geopolitische und arbeitsrechtliche Fragen: Was heißt, „anständig“ zu handeln? Aber auch: Wann (und in welcher Form) ist Widerstand das angebrachte Mittel, Arbeitskämpfe in politische Arbeit zu verwandeln? Eine Antwort ist den Filmen gemein. Sie alle verstehen den Dokumentarfilm – ob Fernsehproduktion oder abendfüllender Kinofilm – als Mittel, Konflikte sichtbar zu machen und individuelle Schicksale zu vergesellschaften.

Der geographische Raum ist heuer weiter als in den Jahren zuvor; er umfasst den äußersten Norden Europas, das chinesische Shenzen und die Ölfelder Aserbaidschans. Zwei finnische Beiträge – Thomas Balmès’ A DECENT FACTORY (SÄÄDYLLINEN TEHDAS) und Erkko Lyytinens THE NORTH STAR (KAINUUN TÄHTI) – schildern die Globalisierung des Sekundären Sektors (Bergbau, Industrie, Handwerk) als inner- wie außereuropäischen Konflikt. Während in Ersterem zwei Ethik-Konsulentinnen des Nokia-Konzerns versuchen, trotz grober humanitärer Missstände im chinesischen Werk des Handyherstellers harte Wettbewerbswirtschaft mit ethischen Standards zu verschwistern, begleitet Zweiterer eine Delegation finnischer Metallarbeiter auf ihrem (Beschwerde-) Weg durch jene politischen Instanzen, die ihr Werk vor der Schließung durch einen neuen Eigentümer aus Spanien beschützen sollen.A DECENT FACTORY hebt sich vom Gros globalisierungskritischer Filme ab, indem er sich einen internen Blick aneignet, der letztlich der Produktivität des Unternehmens dient, und nicht auf der Ebene des reinen Verdachtes argumentiert. Das Resultat ist ein größerer Einblick ins Firmengeschehen sowie die höhere Bereitschaft der Verantwortlichen, Rede und Antwort zu stehen – wobei Balmès nicht den Blickwinkel der Inspektorinnen einnimmt. Auch THE NORTH STAR ist eher der teilnehmenden Beobachtung zugeneigt; die Kamera verharrt in Büroräumen und Wartezimmern, zeichnet Gespräche, Verhandlungen, oft auch bloß das geduldige Warten der Delegation auf, die mit scheinbarer Gelassenheit (zu der sich zunehmend eine heitere, geradezu Kaurismäkihafte Resignation gesellt) darauf hofft, dass die Anliegen einer kleinen Industriestadt namens Vuolijoki die EU-Richtlinien über freien Wettbewerb und staatliche Unterstützung zu beeinflussen vermögen. Die Sturheit und der Stolz der Stadtabgeordneten drückt sich in der am Ende schon rituellen Überreichung eines Gastgeschenks aus: Saunahandtücher aus heimischer Produktion.

Das Scheitern der Delegationen bleibt in beiden Filmen offen. Es geht weniger um eine Form der Anklage als darum, am lokalen Beispiel globale Strukturen sichtbar zu machen. Deutlich agitatorischer versucht dies auch SOURCE (ZDROJ), ein Dokumentarfilm des tschechischen Regisseurs Martin Mareček, der im aserbaidschanischen Baku die groteske Kluft zwischen dem Millionengeschäft mit Öl, der postsowjetischen Marktwirtschaft und Oligarchenpolitik auf der einen und den Ölarbeitern und Kleinbauern der Region auf der anderen Seite untersucht. Während das Selbstverständnis der „kleinen Leute“ sich vor der Kamera in aller Deutlichkeit entfaltet, verharrt das Großkapital in symbolischem Abstand, dem die Regisseure bloß mit List und Tücke oder dem Einsatz sarkastischer Trickfilm-Inserts beizukommen vermögen. Moderne Kämpfe um Arbeitswelten und Lebensräume werden, so SOURCE, nicht zuletzt medial geführt: Produziert von der tschechischen NGO auto*mat dient der Film auch der Bewusstmachung der globalen Auswirkungen ungehemmter Ausbeutung fossiler Rohstoffe.

Einen langsamen, beinahe nostalgisch anmutenden Ausklang bildet zuletzt WORKING CLASS (TYÖVÄENLUOKKA) von Veikko Aaltonen. Die Beschreibung einer „klassischen“ Arbeiterbiografie, die entlang dreier Generationen in der finnischen Metall- und Papierindustrie erzählt wird, steht im Zeichen einer Wende – nämlich des Niedergangs der europäischen Schwerindustrie –, die sich in THE NORTH STAR bereits vollzogen hat. Noch geht es hier aber darum, sich selbst als Arbeiter, die soziale Gemeinschaft als Arbeiterklasse zu begreifen. Dass diese – und mit ihr die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbewegung – in naher Zukunft vor neuen Herausforderungen steht, wird dabei nicht geleugnet. Dass die alten Wertvorstellungen jedoch längst nicht tot sind, versucht der Film noch einmal zu beschreiben: Männer und Frauen am Hochofen, an der Messerwalze, beim Saunieren wie beim Marschieren am 1. Mai. In seiner Gelassenheit und seinem langsamen, beobachtenden Gestus versteht sich WORKING CLASS als Dokument einer veränderten sozialen Landschaft, deren Folgen für den finnischen Mittelstand er bloß andeuten kann. Gerade darin stellt er – angesichts hitziger Debatten um „Hacklerregelung“ oder den globalen „Workingman’s Death“ – einen unaufgeregten Beitrag zum Verständnis dessen dar, was Arbeit in naher Zukunft bedeutet haben wird.

 

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