Arbeitswelten 2005

Unsichtbare Gegner

(Michael Loebenstein, Dominik Kamalzadeh, Dieter Pichler – Kuratoren)

Niemand geht ins Kino, um Filme über Arbeit zu sehen! Obwohl diese Aussage einen Kern Wahrheit enthält, stimmt sie so nicht. Wenn Arbeit nämlich ihre Selbstverständlichkeit verliert und zum knappen Gut wird, wirft sie Fragen nach dem Selbstverständnis einer Gesellschaft auf. Filme über Arbeit haben eine Tradition, die bis zum Beginn des dokumentarischen Kinos reicht – so zeigte einer der frühesten Filme der Gebrüder Lumière eben keine exotischen Gebräuche oder Zaubereien, sondern schlicht Arbeiter beim Verlassen einer Fabrik.

Doch was passiert, wenn es die „Fabrik“ als funktionierenden sozialen Raum, als „Ort der Arbeit“, nicht mehr gibt? Was filmen, wenn die Arbeit selbst immer abstrakter wird, die Mechanismen, nach denen Wirtschaften funktionieren zunehmend unsichtbar, un(an)- greifbar werden? Der Philosoph Gilles Deleuze hat diesen Umbruch – von den geordneten, starren Verhältnissen des Industriezeitalters hin zu den flexiblen, ständigem Wandel unterworfenen Verhältnissen des Informationszeitalters mit einem Bild aus der Tierwelt bezeichnet: „Die Windungen einer Schlange sind noch viel komplizierter als die Gänge eines Maulwurfbaus.“

„Unsichtbare Gegner“, das zweite „Arbeitswelten“-Special von Crossing Europe und Kinoreal, setzt dort an, wo unser letztes Programm stehen geblieben ist. Standen vor einem Jahr die Lebensentwürfe junger Menschen in der New Economy im Zentrum, so widmen wir uns in diesem Jahr jenem „leeren Zentrum“, um das die öffentlichen Debatten (über Neoliberalismus, Globalisierung, Standortpolitik oder Arbeitszeitverlängerung) kreisen – der Frage, wie Wirtschaft „gemacht wird“, welcher Ethos, welche Handlungsweisen und Haltungen jene Prozesse in Gang setzen und am Laufen halten.

Der Titel der Reihe, „Unsichtbare Gegner“, ist dem gleichnamigen Film Valie Exports entlehnt. 1973, aus der Perspektive der Aktionsund Videokünstlerin, bezeichnete er das Unbehagen gegenüber der repressiven Nachkriegsgesellschaft. „Unbehagen“ ist auch die vorherrschende Befindlichkeit in jenen Filmen, die wir im Rahmen des Specials vorstellen. Seine Ursache mag es auch in der Krise der Darstellbarkeit haben, die das dokumentarische Arbeiten angesichts der Immaterialität von Arbeitsprozessen befällt. Das Sichtbarmachen „unsichtbarer Gegner“ gerät darin zur eigentlichen Herausforderung.

Wie etwa dringe ich in zentrale Arbeitsbereiche vor, wenn zwischen Autonomie und Kommando scheinbar kein Unterschied mehr besteht? Welchen Zugang wählt man, wenn modernes Management darauf abzielt, das „Kommando“, wie Maurizio Lazzarato schreibt, „im Subjekt und in der Kommunikation“ zu verankern? Harun Farockis jüngstes Video NICHT OHNE RISIKO wählt einen nachgerade klassischen Ansatz, um den abstrakten Begriff des Venture Capital – des Risikokapitals – vermittelbar zu gestalten: Er sucht eine Verhandlung auf, den Ort der Kommunikation, und vollzieht Transaktionsgeschäfte im Gestus des unbeteiligten Beobachters mit. Die Details der Unternehmen sind eher nebensächlich, denn die Anordnung hat eine archetypische Form: Eine kleine Firma versucht einen Kapitalgeber von seiner Kreditwürdigkeit zu überzeugen. Die Situation gibt die Dramaturgie vor. Rhetorische Umwege gehören zum Geschäft. Letztlich ist es aber die Offenheit der Situation, das direkte Zusammenspiel der beiden Parteien, die tiefere Einblicke in eine ökonomische Praxis ermöglichen. NICHT OHNE RISIKO funktioniert wie ein Spiel, dessen Regeln man erst beim Zuschauen durchschaut.

Gerhard Friedls HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN? geht indes von einer konträren Annahme aus. Die Darstellbarkeit komplexer wirtschaftlicher Prozesse steht darin von vornherein unter Verdacht. Eine sonore Voice Over entspinnt eine Serie aus Berichten, formt private wie geschäftliche Machenschaften von Wirtschaftsmagnaten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte zu einer (nur scheinbar geordneten) Ansammlung von ineinander greifenden Anekdoten: Von Übernahmen, Steuerdelikten und anderen kriminellen Machenschaften ist die Rede, aber auch von den kleinen Marotten und Vorlieben einzelner Personen. Sichtbar wird von alledem jedoch nichts: Die Bilder tasten in längeren Fahrten und Schwenks öffentliche Orte in europäischen Städten, Fabriksräume und Produktionsstätten oder auch Bankenfoyers ab. Ton und Bild bilden eine trügerische Einheit. Es finden sich Entsprechungen zwischen den beiden, aber sie bleiben arbiträr: Friedl legt sie wie falsche Fährten, denen der Betrachter in seinem Bestreben, dem Erfahrenen Sinn zu verleihen, ganz selbstverständlich folgt.

Das Problem der Darstellbarkeit mag auch ein Grund dafür sein, warum die „große Erzählung“ über die New Economy der späten 90er-Jahre bis heute fehlt. So ist auch WELTMARKTFÜHRER. DIE GESCHICHTE DES TAN SIEKMANN eher eine Kater-, denn eine Erfolgsgeschichte. In seinem Dokumentarfilm erzählt der deutsche Filmemacher Klaus Stern die Geschichte eines Technologieunternehmers, dessen kometenhafter Aufstieg am Höhepunkt des Internethypes in einer Millionenpleite endete. Was Tan Siekmann, dem Computer-Nerd, Schlossbesitzer und leidenschaftlichen „Aviator“ bleibt, ist der (wenig erfolgreiche) Neustart seiner Firma; zudem blickt der Film anhand von Archivmaterial und Gesprächen mit Protagonisten des Börsenbooms der 90er kritisch auf eine Zeit zurück, die in ihrem kritiklosen Glauben an schnellen Reichtum zu gleichen Teilen lächerlich als auch bestürzend wirkt. WELTMARKTFÜHRER weist dabei subtil auf die Grauzone zwischen versehentlichem Malheur und intentionalem Betrug hin, wenn immer wieder die Rede von „einem gewissen Maß an krimineller Energie“ ist.

Was (sichtbar) ist, sind so meist nur die Auswirkungen. Die „Gegner“ bleiben im Off. Als historischen Partnerfilm zu Gerhard Friedls spiralengleicher Spekulation zeigen wir zu Beginn der Schau eine historische Arbeit. Egon Humers POSTADRESSE: 2640 SCHLÖGLMÜHL (1990) ist, nicht weniger als WELTMARKTFÜHRER oder WOLFF VON AMERONGEN, ein „Trümmerfilm“, der streng lokal (am Beispiel einer niederösterreichischen Ortschaft) die materiellen Auswirkungen abstrakter, globaler Prozesse spürbar macht. Und das ist buchstäblich gemeint: Denn was die Kamera festzuhalten vermag, sind gezeichnete Gesichter und leere, verfallende Architekturen, die immer wieder in langen, beobachtenden Einstellungen ins Bild gesetzt und abgetastet werden.

Ins Kino gehen, um Filme über Arbeit zu sehen, heißt heute, den Spuren der Schlange zu folgen, um ihre nächste Windung zu erahnen.

 

Filme der Sektion: