„Linz war und ist eine Arbeiter*innenstadt“, so Sabine Gebetsroither mit Blick auf die lokale Verankerung von Crossing Europe. Was das gegenwärtig bedeuten könnte, war explizite Ausgangsfrage einer Kooperationslehrveranstaltung mit dem Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften im Rahmen der Sektion "Arbeitswelten". Diese feierte, wie das Festival selbst, ihr fünfzehnjähriges Jubiläum und ist zugleich eine der stablisten unter den vielfältigen Sektionen von Crossing Europe, auch hinsichtlich der Besucher*innenzahlen. In seinem steten Ausloten, Abtasten und Verhandeln der permutablen Parameter von „Arbeit“ als sozialer Konfiguration positioniert sich das Festival in einem Gegentrend zu den größeren internationalen A-Festivals, für deren Filme Fabrice Montebello 2004 eine lange Tradition der mehrheitlichen Nicht-Entsprechung zwischen den Gezeigten und dem Publikum festhält: Die Arbeiter*innenklasse ist ihm zufolge vom politischen Subjekt zu einem „kulturellen Objekt“ geworden, Teil einer oftmals nostalgischen, bürgerlichen Mittelstandserfahrung, die den Arthouse-Festival-Film in den meisten Fällen charakterisiere. Die in diesem Kontext verzeichnete Tendenz zum „Sozialfilm“, um das geflügelte Wort diverser Verleiher*innen zu bemühen, lässt sich aus Sicht der Cahiers du Cinéma mangels einer angemessenen Auseinandersetzung mit Klassenverhältnissen nur als „opportunistisches Alibi“ (Stephane Delorme 2015) begreifen.
Dabei haben Filme über Arbeit eine traditionsreiche Geschichte, ihr Beginn lässt sich mit dem Aufkommen des dokumentarischen Kinos der Lumière-Brüder datieren. Die einst von Arbeitenden verlassene Fabrik ist indes längt kein emblematischer Ort mehr für „Arbeit“, als sozialer Raum funktioniert sie in vielen Fällen nicht mehr so wie sie es einst getan hat – was ähnlich auch für den Raum des Kinos gilt: Auch das Kino schreibt sich mitsamt zugehöriger Selbstverständigungskultur als gesellschaftspolitischer Echoraum, der zugunsten anderer, virtueller Räume und Kanäle immer kleiner wird, anachronistisch in den Kontext einer veränderten und sich verändernden gesellschaftlichen Zusammensetzung ein, in der Klassen nicht mehr so funktionieren wie im alten Klassenmodell der Gesellschaft. Die weitgehende Auflösung der in den 1930ern im amerikanischen wie im europäischen Film (prominent: John Ford, Jean Renoir) zu verzeichnende Korrespondenz zwischen jenen, die auf der Leinwand repräsentiert werden und jenen, die diesen Filmen einen relativen Erfolg bescheren, vollzieht sich schleichend, sie setzt schon vor der Nouvelle Vague ein. (Jean-Michel Frodon 2010).
Crossing Europe interessiert sich für die Ausnahmen: Seit 2004 nimmt die Sektion „Arbeitswelten“ zeitgenössische Arbeitsverhältnisse und ihre kinematische Aufarbeitung in den Blick, macht die Implikationen von Globalisierung, Neoliberalisierung und New Economy sinnlich erfahrbar: ob als Krise der Darstellbarkeit neuer/virtueller Wirtschafts- und Ausbeutungsagenturen (
), als „Gemachtheit“ von Wirtschaft und ihrem glamourisierten „Style“, oder schlicht in ihren konkreten, materiellen Auswirkungen: Gezeichnete Gesichter, verzweifelt sich Bewerbende, leere und entfunktionalisierte Architekturen, „High-End“-coworking-spaces etc.
Mit „Arbeit“ durchmisst die Sektion eine „Kategorie“ so sehr wie eine Konkretion, die (zumindest als Lohnarbeit) vielfach an Selbstverständlichkeit verloren hat oder in (unbezahlten) Verselbständigungsformen (etwa Formen der Mediennutzung) als solche öffentlich nur in der Kritik konzipiert wird. „Arbeit“ evoziert eine Vielfalt an Betätigungsformen, sie birgt Gender-, Class- und Race-Marker, schreibt sich in Konzeptionen von Ort und Zeit ein und stellt dringliche Fragen an das Leben, die Gesellschaft und ihren Umgang mit Subjekten. Von „Ich-AGs“ und dem „Kognitariat“ über „Freie“ und „Neue Selbständige“ bis hin zu aus dem Raum politischer Repräsentation ausgeschlossenen „Gast-“ oder Zwangsarbeitenden: der Handlungsradius jener, die „Arbeit“ exerzieren, reicht von Selbstverwirklichungsstilisierung bis hin zum Überlebenskampf. Un/Sichtbarkeit und Nicht/Repräsentation von Arbeit und Arbeitenden sind Effekte, die das Kino aufzubrechen oder zumindest zu befragen vermag: Worin, angesichts der globalen Anforderungen von „Leistung“, „Geschwindigkeit“, „Flexibilität“, „Mobilität“, „Effizienz“, liegen die Möglichkeiten des Widerstands bzw. einer Rekonfiguration des Sozialen? Worin liegt der Wert von (Aus-)Bildungsformen, deren Stätten vorgeben, nicht oder nur zum Teil nach diesen Anforderungen zu operieren? Wie verhalten sich – in Zeiten, in denen sich das Bildliche selbst prekarisiert – Kino und Bewegtbild zu diesen Fragen?
Unter dem Titel ARBEITEN SEHEN. wurde vor dem Hintergrund dieser Fragen das Verhältnis von Arbeit und Bewegtbild unter die Lupe genommen und damit verbundene Mechanismen künstlerisch-wissenschaftlich erforscht. Sechs Teamprojekte sind dabei entstanden – siehe oben.