Local Artists Special - Dietmar Brehm

Anlässlich seines 75. Geburtstags würdigt CROSSING EUROPE den großen österreichischen Avantgardefilmer mit zwei vielgestaltigen Kurzfilmprogrammen.

Das Œuvre von Dietmar Brehm umfasst neben Film und Video auch Zeichnung, Druckgrafik, Malerei und Fotografie. Um diese vielen Facetten seines künstlerischen Schaffens zu illustrieren, präsentiert das Lentos Kunstmuseum anlässlich seines 75. Geburtstags eine Sonderschau von 28.4.- 29.5.2022. Am Donnerstag, 28.4. findet um 18:00 eine Soft-Opening im Lentos Kunstmuseum statt. Zudem sind zwei Gemälde im Rahmen der Ausstellung „PREISE UND TALENTE“ im OK Offenes Kulturhaus, EG (Raum neben der Moviemento-Kassa) zu sehen.

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Die Gesichter und Dinge: amorph und zerfließend; ihre Verbindungen zueinander in den Bildern: obskur und undurchsichtig; die Stimmung: unheilschwanger, entrückt, unwirklich. Der filmische Kosmos des großen österreichischen Avantgardefilmers Dietmar Brehm wurde im Laufe der Jahre immer wieder mit Träumen verglichen, weil sich darin alles gegen die Vorstellung eines Kontinuums, einer vernunftmäßig erfahrbaren Welt verkeilt. Seit den frühen 1970er-Jahren führt der Linzer mit seinen Arbeiten in flackernd-pulsierende Parallelräume und monochrome Zwischenzonen, die man als Triebwelten und andere Echokammern der Psyche bezeichnen könnte.

Man trifft auf Unschärfen und Details nackter, kopulierender Körper, reibt sich an maskenhaften, geheimnisvollen Gesichtern und wundert sich über undurchsichtige Blicke und Gesten, die umso mehr unsere Aufmerksamkeit bannen. Statt emotionalem Investment überwiegt Distanz, ein am New Wave geschulter Gestus der Coolness. Die dem Medium so inhärente Schaulust bleibt jedoch immer gegenwärtig, wird jedoch an kein Objekt mehr angebunden, sondern bleibt als Bedingung des filmischen Apparats fluid.
 
Von Anfang an bewegen sich Brehms Filme an den Nebelufern des Genrekinos, von dem sie Treibgut aufsammeln und dieses gleichsam unter der Lupe, bis in kleinste, sinnliche Nischen des Materials hinein betrachten. Meist kombiniert er Found Footage mit selbst gedrehtem Material; auch abgeschlossene Arbeiten oder Elemente daraus werden immer wieder neu durchforstet. Für Brehm eröffnen sich immer wieder unerwartete Blickwinkel: Die eigenen Super-8- und 16mm-Filme werden nach dem digitalen „turn“ in Video abgetastet, in VERDREHTE AUGEN (2009) beispielsweise wird daraus die Tiefenforschung entlang der Texturen des Materials. Für CROSSING EUROPE hat Brehm selbst zwei Programme kuratiert, eines davon analog, das andere digital, die zusammen mehr als einen Querschnitt durch sein Œuvre liefern. Sie  beginnen jeweils programmatisch mit einer Konfrontation des Künstlers mit sich selbst. ÜBUNG (1993) erinnert an eine Duell-Situation eines Westerns, wobei der Filmemacher nunmehr mit Kamera bewaffnet ist und der Verbindungspunkt der Bilder, die Schnittstelle, zum eigentlichen Austragungsort wird. Eine verwandte Ironie findet man auch in INSIDE – THE COLOUR VERSION (2017), wenn er in Form eines grün-rot flickernden Pop-Art-Reigens durch die eigene Fetischwelt führt.
 
Ihre so verführerischen Irritationen beziehen die Filme aus dem Umstand, dass sie ihre Repräsentation bis in jene Zonen vorantreiben, in denen man sich als Betrachter im Ungefähren verliert: In THE MURDER MYSTERY (1992) gibt es genauso wenig einen „Plot“ wie in HALLO MABUSE (2016), doch in beiden werden semantische Restbestände des Filmmaterials suggestiv aufgeladen. In der früheren Arbeit erstellt er aus Gesichtern eines Bruce-Lee-Films und Großaufnahmen von Geschlechtsteilen bzw. dem -akt eine eruptive Montage, die Körperteile immer nur so lange fixiert, bis sich das Auge kurz orientieren kann. Der auf Fritz Langs kriminelles Mastermind verweisende MABUSE arbeitet nicht weniger effektiv mit Uneindeutigkeiten und sinistren Andeutungen, die schließlich die Bilder selbst  in einen Abgrund stürzen.
 
Schon im analogen Filmprogramm kann man sehen, wie Brehms (Kamera-)Auge immer wieder neue Oberflächeneffekte in bekannten Laufbildern freilegt. So greift er für HALCION (2007) – nach dem gleichnamigen Schlafmittel benannt – auf Filme aus seinem SCHWARZER-GARTEN-Zyklus zurück, um die Bilder in einer weiteren Bearbeitung ihrer Gegenständlichkeit zu entkleiden. Das Ergebnis wirkt wie ein waberndes Meer aus rosafarbenen Silhouetten, in welches man wie in ein Wachkoma versinkt. Der Film ist überdies ein schönes Beispiel dafür, wie Brehm auf der Tonebene mit reduzierten Mitteln äußerst starke atmosphärische Ergebnisse erzielt: Das Donnern und Flammenknistern findet man in mehreren seiner Arbeiten wieder.
 
Brehms Umgang mit Abstraktion, Farben und akustisch evozierten Vorstellungswelten gewinnen in den digitalen Arbeiten noch mehr an Bedeutung: In den Punkte-Filmen tritt das Auge mit Punkten in Dialog, die über flächige Bilder wandern und erzählerische, oft ironische Miniaturen vollführen - die Aufgabe des Einflüsterers von imaginären Sinnfragmenten übernimmt hier vor allem der Ton. TOKYO (2013) verwandelt das Ausgangsmaterial, einen japanischen Super 8-Pornofilm aus den 1970er-Jahren, in extrem entschleunigten Negativbildern in ein mysteriöses Ballett auf Kontraste reduzierter Körper, die schon fast wie ausgestanzt erscheinen. Wie in HYLO-VISION-PLUS – VERSION 1 (2022), in dem Brehm seine eigene Augenerkrankung zum Anlass einer Bildbearbeitung macht, meint man dem malerischen Denken Brehms zu folgen, denn die zu den Gitarren von This Heat rhythmisierten Gesichter haben eine durchschlagend grafische Qualität. Nur dass das Auge durch die filmische Regie aufs Körperliche, Rohe gestoßen wird – eine Idee von Punk umspielt dieses Kino, dessen Bilder gleich Adern unter der Haut pulsieren. (Dominik Kamalzadeh)

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